Zeitzeugen - Wiedervereinigung Deutschlands
Dr. Claus-Jürgen Duisberg
Veranstaltungsbericht „Als Deutscher unter Deutschen“. Der Staatsbesuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik 1987 4. September 2012 I 18:00 Uhr I Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin Am 4. September 2012 luden die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die Deutsche Gesellschaft e. V. sowie der Berliner Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR innerhalb ihrer gemeinsamen achtteiligen Veranstaltungsreihe „2x Deutschland: Innerdeutsche Beziehungen 1972-1990“ zur sechsten Diskussionsrunde ein. Thema des Abends war „‚Als Deutscher unter Deutschen‘. Der Staatsbesuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik“. Martin Gutzeit, Berliner Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, eröffnete die Veranstaltung und wertete den Besuch Honeckers in der Bundesrepublik im September 1987 als ein „unterschiedlich und widersprüchlich wahrgenommenes Ereignis“. In seinem Eingangsreferat wertete Prof. Dr. Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam e. V., den Staatsbesuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik als „Pyrrhussieg“. Er stelle zwar den größten politischen Erfolg dar, den das SED-Regime nach außen je errang. Der Staatsbesuch werfe jedoch bis heute Fragen auf: Hat die Bundesrepublik die Partnerschaft mit der DDR zu weit getrieben? Hat die Kooperation mit Ost-Berlin die DDR gestärkt? Oder hat sie den Zerfall des DDR-Regimes sogar beschleunigt? Martin Sabrow stellte die These auf, dass der Besuch Honeckers in der Bundesrepublik ein Erfolg für die DDR war, gleichzeitig aber auch den Untergangs der DDR nach sich zog. Ein Erfolg war der Besuch zum einen deshalb, weil er wie ein Staatsbesuch initiiert worden sei, obwohl es sich offiziell um einen Arbeitsbesuch handelte. Zum anderen konnte Honecker mit der Reise nach Bonn eine gewisse Unabhängigkeit – „vom Vasallen Moskaus zum selbstbewussten Partner“ – gegenüber der Sowjetunion, die lange Zeit eine Reise des SED-Generalsekretärs in die Bundesrepublik verhindert hatte, demonstrieren. Gerade in diesen Erfolgen, zu denen auch die gefeierte Rückkehr Honeckers in die DDR zähle, liege jedoch ein wichtiger Grund für den Untergang des SED-Regimes im Jahr 1989. Eben die politische Anerkennung Honeckers – etwa auf Grund des Ausbaus der Städtepartnerschaften zwischen der DDR und der Bundesrepublik – habe zu sozialen und gesellschaftlichen Verwerfungen innerhalb der DDR sowie einem zurückgehenden Rückhalt durch Moskau geführt: „Die DDR fiel der äußeren Festigung und inneren Erosion zum Opfer“, so Prof. Dr. Sabrow zusammenfassend. Nach dem sachkundigen Eingangsreferat eröffnete Jürgen Engert, Gründungsdirektor des ARD-Hauptstadtstudios, das Podiumsgespräch mit den Diskutanten Dr. Claus-Jürgen Duisberg, ehemaliger Leiter des Arbeitsstabs Deutschlandpolitik im Bundeskanzleramt, der DDR-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe, Dr. Hans Voß, DDR-Botschafter a.D. und Martin Sabrow. Jürgen Engert lenkte die Aufmerksamkeit zunächst auf die Erwartungen, die mit dem Besuch Honeckers verbunden waren. Ulrike Poppe betonte, dass Honecker bereits im Vorfeld des Besuchs in Bonn – vor allem in Folge zunehmender wirtschaftlicher Schwierigkeiten – innerhalb der DDR-Bevölkerung an Vertrauen und Zustimmung verloren habe. Oppositionelle hätten in dem bevorstehenden Besuch eine „Aufwertung und Stabilisierung des DDR-Regimes“ gesehen und versucht, die Öffnung gegenüber der Bundesrepublik für den Widerstand gegen die SED-Diktatur auszunutzen – die erste offiziell angemeldete öffentliche Demonstration im Rahmen des Olof-Palme-Friedensmarsches in Ost-Berlin am 5. September 1987 stehe hierfür beispielhaft. Das Ziel der Oppositionsbewegung habe darin bestanden, eine Demokratisierung im Ostblock zu erreichen – die Aufkündigung der Breschnew-Doktrin durch Michael Gorbatschow habe einen zentralen Anstoß geleistet. Hans Voß stimmte Martin Sabrow zu, dass der Besuch Honeckers gewissermaßen den Beginn des DDR-Untergangs bezeichne. Bestimmte Erwartungen, die zum Beispiel auf die Durchsetzung bestimmter Erleichterungen im Reiseverkehr von Ost- nach West-Berlin gerichtet waren sowie Hoffnungen auf eine intensivere innerdeutsche oder europäische Zusammenarbeit seien hingegen nicht erfüllt worden. Claus-Jürgen Duisberg ging als ehemals leitender Mitarbeiter im Bundeskanzleramt auf die Position der Bundesregierung gegenüber der DDR ein. Die Bundesregierung habe die DDR als ein politisch fragiles Staatssystem immer ein Stück weit stützen wollen, da im Fall einer Destabilisierung eine Intervention Moskaus gefürchtet werden musste. Zudem seien nur durch die obere Verhandlungsebene Erleichterungen für die DDR-Bürger möglich gewesen. Der Besuch Honeckers in Bonn habe als Mittel dafür gedient, die Kontakte zur DDR auszuweiten – immer mit der Hoffnung, in der DDR auf längere Sicht einen Wandel in Richtung Demokratisierung zu bewirken. Ulrike Poppe widersprach dieser Sichtweise und kritisierte vor allem die fehlende Einforderung der Menschenrechte durch die Bundesregierung. Zum Abschluss der Veranstaltung hatte das Publikum die Möglichkeit, Fragen an die Diskutanten zu richten. Im Mittelpunkt standen die wirtschaftliche Lage der DDR im Jahr 1987 sowie die Rolle des Begriffs der Wiedervereinigung während des Besuchs Honeckers. Zum ersten Punkt gab Martin Sabrow zu bedenken, dass die Frage, ob die DDR bereits im Jahr 1987 wirtschaftlich am Ende war, immer von der Wahrnehmung des Betrachters abhänge. Zum zweiten Aspekt räumte Claus-Jürgen Duisberg ein, dass man den Begriff der Wiedervereinigung zwar 1987 vermieden habe, Helmut Kohl aber keinen Zweifel an seiner Zielrichtung – der Vereinigung der DDR und Bundesrepublik – habe aufkommen lassen. Die engagierte Debatte zeigte einmal mehr: Der Besuch Honeckers hatte vor 25 Jahren großes Aufsehen erregt und ist bis heute umstritten.
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