Zeitzeugen - Wiedervereinigung Deutschlands
Roland Dumas
Roland Dumas (* 23. August 1922 in Limoges) ist ein französischer Rechtsanwalt und Politiker. Dumas war in der Résistance (wie sein Vater Georges Dumas, der deswegen im März 1944 von der Division Brehmer hingerichtet wurde). Er studierte von 1945 bis 1949 Jura an der Universität von Paris, am Institut d’études politiques in Paris und an der London School of Economics and Political Science. Dumas vertrat als Rechtsanwalt zu Beginn der Fünften Republik erfolgreich François Mitterrand (1916–1996) in einem Verleumdungsprozess. Später vertrat er als Prominentenanwalt unter anderem Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre, Plácido Domingo und Luciano Pavarotti. Er vertrat Pablo Picasso, als dieser sein Bild Guernica zurückführen ließ, und regelte dessen Erbschaftsangelegenheiten. 1983 wurde Dumas Europaminister unter Präsident Mitterrand. Mitte 1984 wurde er zum Regierungssprecher berufen. Wegen des Tschad-Konflikts wurde er zum Unterhändler mit Libyen ernannt. Von 1984 bis 1986 wurde er Außenminister unter Premierminister Laurent Fabius, während dessen er 1985 das Projekt EUREKA als gemeinsame deutsch-französische Initiative präsentierte. Von 1988 bis 1993 war er erneut Außenminister unter den Premierministern Michel Rocard, Édith Cresson und Pierre Bérégovoy, danach 1995 Präsident des Conseil constitutionnel, des französischen Verfassungsgerichts. ZEITmagazin: Herr Dumas, Sie waren einer der Unterzeichner des Zwei-plus-Vier-Vertrags, der die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglicht hat. Und das trotz Ihrer grausamen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg.
Roland Dumas: Lange Zeit war ich gegen alles Deutsche. Mein Vater war in der Résistance aktiv. 1944 wurde er kurz vor Kriegsende von der Gestapo verhaftet und unter dem Vorwurf erschossen, Juden versteckt zu haben. Ich musste dann seine Leiche identifizieren. Jede Nacht träume ich noch von ihm. Ich war ebenfalls im Widerstand. 1942 erfuhren wir, dass die Berliner Philharmoniker nach Lyon kamen, um die Besatzer zu unterhalten, und wir versuchten, alle Tickets aufzukaufen. Als die Deutschen das merkten, haben sie uns verhaftet und in eine halb verfallene Festung gesperrt. Um nicht zu erfrieren, durften wir im Wald Holz sammeln. Es gab nur zwei Wachen, und da bin ich einfach losgerannt. Am Bahnhof sprang ich auf einen Zug auf. Der Schaffner sagte zu mir: "Wenn ich zurückkomme, will ich dein Ticket sehen." Anständigerweise kam er nicht wieder. Ein befreundeter Jude besorgte mir dann falsche Papiere und Geld. Mit seiner Hilfe konnte ich nach Paris fliehen. Er sagte: Roland, du musst auf deinen Vater aufpassen, er ist ein Held. Vielleicht hat er mich deshalb gerettet.
ZEITmagazin: Was hat Ihre Einstellung den Deutschen gegenüber geändert?
Dumas: 1983 lernte ich Hans-Dietrich Genscher kennen. Er wusste, was mir und meinem Vater widerfahren war, und war sehr herzlich und offen mir gegenüber. Und er überzeugte mich, nicht in der Vergangenheit zu verharren. François Mitterrand hatte mich gerade zum Europaminister ernannt; das war ein guter Zeitpunkt, neu anzufangen. Tief in mir war ich immer noch misstrauisch und wachsam. Aber ich habe beschlossen, dass es an der Zeit war, den wahren Deutschen wiederzuentdecken. Ich hatte bereits in der Schule Deutschunterricht, und die deutsche Musik und Literatur waren mir immer sehr nahe. Wenn ich als kleiner Junge von Franz Lehár Dein ist mein ganzes Herz sang, lobten alle meine tolle Stimme.
ZEITmagazin: Sie überlegten ja auch, Opernsänger zu werden.
Dumas: Nach dem Krieg verliebte ich mich in eine Opernsängerin und begann, Gesangsunterricht zu nehmen. Aber dann entschied ich mich, Jura zu studieren. Ich wollte einen seriösen Lebensunterhalt haben. Aber ich blieb der Oper und den schönen Frauen treu. Ich war auch oft bei den Festspielen in Bayreuth.
ZEITmagazin: Als Anwalt waren Sie sehr erfolgreich, galten aber auch als skrupellos.
Dumas: Recht ist eine Sache, Moral die andere. In manchen Situationen stimmen die beiden nicht überein. Sehen Sie, ich war ein schüchternes, wohlerzogenes Kind und immer Klassenbester, und dann war auf einmal Krieg, mein Vater wurde hingerichtet und mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Um zu überleben, akzeptiert man die neuen Regeln und spielt das Spiel mit.
ZEITmagazin: Für uns Deutsche sind Sie eine schillernde Persönlichkeit mit Skandalen und Affären.
Dumas: Diese Einstellung ist ein Überbleibsel aus dem Krieg. Genieße jeden Moment, als wäre es dein letzter! Ich habe immer schon junge und schöne Frauen geliebt. So lebe ich mein Leben. Andere lesen solche Geschichten lieber in der Zeitung.
ZEITmagazin: In der Affäre um Elf Aquitaine wurden Sie in erster Instanz wegen Bestechung verurteilt.
Dumas: Ja, das war ein Skandal. Und ungerecht. Ich war unschuldig. Im Berufungsverfahren wurde ich auch freigesprochen.
ZEITmagazin: Was fanden Sie spannender: Recht oder Politik?
Dumas: Ich hatte viele berühmte Klienten, wie Jean-Paul Sartre oder Picasso. Er wollte verhindern, dass sein Gemälde Guernica nach Spanien zurückkehrt, solange der Diktator Franco am Leben und das Land nicht frei war. Und er setzte mich ein, um allein zu entscheiden, wann diese Bedingungen erfüllt seien. Dennoch sind Politik und der Geruch der Macht faszinierender. Das Gefühl, dass man politische Geschichte mitschreibt. Und solche Gespräche mit Menschen wie Gorbatschow und Genscher hat. Gemeinsam haben wir das neue Deutschland erschaffen.
ZEITmagazin: Gibt es etwas, was Sie bereuen? Oder halten Sie es mit Édith Piaf?
Dumas: Ich bedauere, dass mein Vater ermordet wurde.
ZEITmagazin: Und Ihre Skandale und Affären?
Dumas: In 100 Jahren wird sich niemand mehr daran erinnern.
Dateianhänge: |
dumas.jpg [ 90.09 KiB | 121-mal betrachtet ]
|
|