Deutschland - Hessen - Notgeld 1914 - 1923
Anmerkungen zum Eine-Million-Mark-Schein der Stadt Cassel vom 20. August 1923
Lothar Brendel, der wohl beste Kenner des Kasseler Notgeldes, schreibt in der Einleitung zu seinem Buch „Das Notgeld in der vormaligen Residenzstadt Kassel, Beiträge zur Münzkunde in Hessen-Kassel“ (1996, dass der Kasseler Magistrat im Gegensatz zu manchem anderen Ausgabeort sehr veantwortungsvoll bei der Ausgabe des städtischen Notgeldes handelte. Der Magistrat leistete nicht nur die von der vorgesetzten Behörde geforderte Kaution, sondern sicherte darüber hinaus zumindest ihr 1918er Notgeld bei der Hermes Kreditversicherungsbank A.-G. und Allianz Versicherungs-Aktien-Gesellschaft ab. Durchaus bemerkenswert ist der „Tatbestand der ausschließlichen Ausgabe wirklichen Bedarfsgeldes; Pseudo-Notgeld in Form von eigens für Sammler hergestellten sogenannten ‚Serienscheinen‘ wurden in Kassel weder seitens des Magistrats noch durch Privatfirmen verausgabt. Nicht minder bedeutsam ist die Erkenntnis, dass das höchste städtische Nominal selbst bis zum Ende der Hochinflationszeit ‚lediglich‘ über die Summe von 1 Million Mark (1.000.000) lautet, während – auch in Kassel – allgemein tatsächlich Billionenwerte (1.000.000.000.000) benötigt wurden; diese millionenfache Summe einer Million muss man bildlich dargestellt aufnehmen.“ Der genannte Notgeldschein über 1 Million Mark vom 20. August 1923 wurde vom Kassler Oberbürgermeister Phillip Scheidemann unterzeichnete. Scheidemann verkündete am 9. November 1918 von einem Fenster des Reichstagsgebäudes: „Das deutsche Volk hat auf der ganzen Linie gesiegt. Das alte Morsche ist zusammengebrochen; der Militarismus ist erledigt. Die Hohenzollern haben abgedankt! Es lebe die deutsche Republik!“ Nur wenig später rief Karl Liebknecht am Berliner Schloss die „Sozialistische Räterepublik“ aus. Seit Oktober 1918 war Scheidemann Staatssekretär im Kabinett des Prinzen Max von Baden. In der neuen Republik wurde er zunächst Mitglied des Rates der Volksbeauftragten, dann zwischen Februar und Juni 1919 Reichsministerpräsident. Aus Protest gegen die Annahme des Versailler Vertrages legte er dieses Amt nieder und kehrte der großen Politik den Rücken. Er ging nach Kassel zurück, wo er am 26. Juli 1865 geboren wurde. Zwischen 1920 und 1925 bekleidete er hier das Amt des Oberbürgermeisters. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 musste er als einer der führenden Sozialdemokrat emigrieren. Am 29. November 1939 starb er in Kopenhagen. Der Ein-Millionen-Mark-Schein misst 140 mm x 80 mm. Am unteren Rand der Vorderseite wird die Druckerei „OFFSETDRUCK VON H. GRÜNBAUM, CASSEL“ als Hersteller genannt. Gedruckt wurde der Schein auf Papier ohne Wasserzeichen in Schwarz auf hell- und dunkelrotem Unterdruck. Die schwarze sechsstellige Kennziffer kommt mit dem Serienbuchstaben A vor No. oder Nr. vor. Insgesamt können vier Varianten unterschieden werden. Die rechte Scheinseite ziert das Porträt von Jakob Grimm. Aber nicht wegen dieser Abbildung wurde der Schein zu einem begehrten Sammelobjekt, sondern wegen vier kleiner Symbole auf der Rückseite. Die Siegener Tageszeitung „Das Volk, Tageszeitung für Christentum, Deutschtum, Volkswohlfahrt“ meldete in ihrer Ausgabe Nr. 248 vom 16.10.1923: „Der Notgeldschein weist außer dem Bilde des Märchenerzählers Grimm – ein bekanntes Grimmsches Märchen entstand in Kassel – vier Sterne auf, die, in strengen Linien ausgeführt, je ein Hakenkreuz im Schnittpunkt bilden. Erst durch die große Nachfrage der Sammler wurde man darauf aufmerksam. Die Sammler legen besonderen Wert auf diesen Schein, weil er von einem der größten Gegner des Hakenkreuzes gezeichnet ist, von Philipp Scheidemann, dem gegenwärtigen Oberbürgermeister von Kassel.“ Allerdings ist die Stellung des Hakenkreuzes nicht korrekt. Das Hakenkreuz (auch Swastika) war seit 1920 das Zeichen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Zwei Jahre nach der Machtübernahme bestimmte Adolf Hitler 1935, dass zukünftig der Reichsadler ein von einem Eichenlaubkranz umzogenes Hakenkreuz in den Fängen zu halten habe. Dies sollte die Einheit von Partei und Staat demonstrieren. Im Rahmen der Nürnberger Gesetze wurde die Hakenkreuzfahne zur alleinigen Reichs- und Nationalflagge erklärt. Sie zeigte auf rotem Tuch in einem weißen Kreis das schwarze Hakenkreuz und löste damit die bisherigen schwarz-rot-goldenen Reichsfarben ab. Das „kompromittierende“ Symbol auf der Rückseite des Scheines ist eigentlich ein altindisches Sonnen- und Fruchtbarkeitszeichen, das seit etwa 4000 v. Chr. auch in Nord- und Mitteleuropa, Vorderasien, China und Japan als religiöses Symbol überliefert ist. Zu Beginn unseres Jahrhunderts erfuhr es einen Bedeutungswandel. Antisemitische Kreise wählten es zu ihrem Emblem.
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